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Invasive Schildkrötenarten pflanzen sich in Deutschland fort
Siebert, Ina [Ina Siebert1] - 3. Mär 2023, 07:30
Natürlicherweise lebt in Mitteleuropa nur eine Schildkrötenart: die → Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). Sie ist in Deutschland vom Aussterben bedroht und streng geschützt. Ihre letzten hierzulande freilebenden Bestände kommen in Brandenburg vor, während Individuen in allen anderen Bundesländern aus kontrollierten oder unkontrollierten Aussetzungen stammen. Gefährdet ist die Art durch den lange zurückreichenden Fang, den Verlust ihrer Lebensräume, Fressfeinde sowie ausgesetzte nicht heimische Schildkröten.

Europäische Sumpfschildkröte in Baden-Württemberg
(c) Stefanie Pietsch/NABU-naturgucker.de
(c) Stefanie Pietsch/NABU-naturgucker.de
Als eine der weltweit problematischsten invasiven Reptilienarten gilt die aus Nordamerika stammende → Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta). In großer Zahl wurden diese Schildkröten als Heimtiere importiert. In vielen Ländern jedoch setzten Halter*innen sie aus, weil sie aufwändig zu pflegen sind sowie mit rund 25 Zentimetern sehr groß und Jahrzehnte alt werden können. Erstnachweise in Deutschland im Freiland stammen aus den 1950er-Jahren. Seit den 1970er-Jahren nehmen die Beobachtungen zu. Schmuckschildkröten konkurrieren mit Sumpfschildkröten um Raum und Nahrung und erhöhen den Raubdruck auf Amphibienlarven. Mit der Klimaerwärmung verbessern sich ihre Chancen, dauerhaft zu überleben und sich zu vermehren.[1]

Rotwangen-Schmuckschildkröte im Naturschutzgebiet Wagbachniederung in Baden-Württemberg
(c) Harald Bott/NABU-naturgucker.de
(c) Harald Bott/NABU-naturgucker.de
Bei drei eingeführten Schildkröten-Arten konnten Forschende mit populationsgenetischen Methoden nachweisen, dass sie sich in Baden-Württemberg im Freiland fortpflanzen. Hierfür untersuchten sie 25 Individuen der → Falschen Landkartenschildkröte (Graptemys pseudogeographica) in Freiburg, 35 der → Gewöhnlichen Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) in Freiburg und Kehl sowie 127 der Buchstaben-Schmuckschildkröte bzw. ihrer Unterarten ebenfalls in Freiburg und Kehl. Eltern-Nachkommen-Beziehungen gab es in allen Populationen der drei Arten. 82 Prozent der Freiburger und 79 Prozent der Kehler Schmuckschildkröten waren mit mindestens einem anderen Individuum verwandt. Frühere Risikobewertungen, dass sich diese Arten auch in gemäßigtem Klima vermehren können, sind damit bestätigt.[2]

Gewöhnliche Schmuckschildkröte im Naturschutzgebiet Wagbachniederung in Baden-Württemberg
(c) Frank Philip Gröhl/NABU-naturgucker.de
(c) Frank Philip Gröhl/NABU-naturgucker.de
[1] → Stefan Nehring, Wolfgang Rabitsch, Ingo Kowarik und Franz Essl (Hrsg.): Naturschutzfachliche Invasivitätsbewertungen für in Deutschland wild lebende gebietsfremde Wirbeltiere. BfN-Skripten 409, 2015
[2] Tietz B, Penner J, Vamberger M (2023) Chelonian challenge: three alien species from North America are moving their reproductive boundaries in Central Europe. NeoBiota 82: 1-21. DOI: → 10.3897/neobiota.82.87264