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Rückgang von Nachtfaltern reduziert Bestäubungsleistungen
Siebert, Ina [Ina Siebert1] - 24. Feb 2023, 06:50
Weniger bekannt und geschätzt als die bunten Tagfalter sind die dämmerungs- und nachtaktiven Schmetterlinge. Dabei machen die Nachtfalter etwa 95 Prozent unserer heimischen → Schmetterlinge (Lepidoptera) aus. Ihre Rolle als wichtige Bestäuber blieb auch Forschenden wortwörtlich lange verborgen. Meist standen tagaktive Arten und hier vor allem → Bienen (Apidae) und → Schwebfliegen (Syrphidae) im Fokus von Untersuchungen zu Beziehungen zwischen Pflanzen und Bestäubern.

Grüne Eicheneule
(c) Hans Prün/NABU-naturgucker.de
(c) Hans Prün/NABU-naturgucker.de
Für eine 2020 veröffentlichte Studie wurden Nachtfalter beim Blütenbesuch in einer Agrarlandschaft im englischen Norfolk beobachtet und mit tagaktiven Insekten verglichen. Von 838 abgestrichenen Individuen trugen 46 Prozent Pollen am Körper, meist an der Unterseite ihres oft haarigen Brustkorbs. Diese gehörten zu 103 verschiedenen Arten, insbesondere → Eulenfaltern (Noctuidae), → Erebidae und → Spannern (Geometridae). Pollen von 47 verschiedenen Pflanzen wurden an ihren nachgewiesen. Laut den Forschenden lässt die Menge an transportierten Pollen auf eine wichtige Bestäubungsleistung der Nachtfalter und eine große Rolle im gesamten Netzwerk von Wildpflanzenbestäubern schließen.[1]

Ackerhummel, Fliege und Wanze an Kohl-Kratzdistel
(c) Hans Schwarting/NABU-naturgucker.de
(c) Hans Schwarting/NABU-naturgucker.de
Bereits 2017 stellten Forschende in der Schweiz fest, dass künstliches Licht die Aktivitäten von nachtaktiven Insekten wie → Käfern (Coleoptera), → Zweiflüglern (Diptera) und Nachtfaltern stört. Auf beleuchteten Wiesen wurden 62 Prozent weniger Blütenbesuche festgestellt als auf dunklen Vergleichsflächen. Hier fiel auch der Fruchtansatz der tagsüber wie nachts angeflogenen → Kohl-Kratzdistel (Cirsium oleraceum) um 13 Prozent geringer aus. Tagaktive Arten können den Rückgang der nächtlichen Bestäubung scheinbar nicht auffangen. Vermehren sich die Pflanzen durch die nachgewiesenen negativen Auswirkungen von künstlichem Licht auf Bestäuber weniger, trägt dies auch zum Rückgang tagaktiver Arten bei.[2]

Blaues Ordensband in Finnland
(c) Alexandra Wochinger/NABU-naturgucker.de
(c) Alexandra Wochinger/NABU-naturgucker.de
Auswirkungen des Klimawandels auf die Bestäubungsleistungen von Insekten haben Wissenschaftlerinnen deutscher Forschungseinrichtungen in einer subarktischen Region in Finnland nachgewiesen. Während sich die Landnutzung hier kaum verändert hat, ist die Klimaerwärmung beträchtlich. Herangezogen wurden Aufzeichnungen eines Försters zu blütenbesuchenden Insekten aus den Jahren 1895 bis 1900 und aktuelle Beobachtungen an den gleichen Standorten und Pflanzen. Die Interaktionen zwischen Bestäubern und Pflanzen haben sich fast völlig verändert; nur in 7 Prozent der Fälle besuchen heute noch die gleichen Insekten dieselben Pflanzenarten wie vor 120 Jahren. Insbesondere spezialisierte Arten, darunter viele Nachtfalter und Schwebfliegen, haben abgenommen. Generalisten dagegen haben zugenommen. Sie bestäuben viele verschiedene Pflanzen, sind dadurch aber womöglich weniger effektiv. Derartige Veränderungen sind mit fortschreitendem Klimawandel auch in anderen Regionen zu erwarten.[3] Alle drei Studien weisen auf den großen Forschungsbedarf hin, um die Netzwerke von Pflanzen und bestäubenden Insekten besser zu verstehen. Veränderungen und deren Ursachen müssen ebenfalls stärker untersucht werden.
[1] Walton Richard E., Sayer Carl D., Bennion Helen and Axmacher Jan C. 2020. Nocturnal pollinators strongly contribute to pollen transport of wild flowers in an agricultural landscape. Biol. Lett. 16: 20190877. DOI: → 10.1098/rsbl.2019.0877"
[2] Knop, E., Zoller, L., Ryser, R. et al. Artificial light at night as a new threat to pollination. Nature 548, 206–209 (2017). DOI: → 10.1038/nature23288"
[3] Zoller, L., Bennett, J. & Knight, T.M. Plant–pollinator network change across a century in the subarctic. Nat Ecol Evol 7, 102–112 (2023). DOI: → 10.1038/s41559-022-01928-3"