
Wissen
Hintergründe und Neues aus der Forschung leicht verständlich erklärt
Weißstörche im Aufwind
Siebert, Ina [Ina Siebert2], Schulemann-Maier, Gaby [Gaby Schulemann-Maier] - 17. Mär 2022, 11:55
„Faule Vögel haben den Schnabel vorn“ – so könnte man flapsig die Veränderungen in der Welt der → Weißstörche (Ciconia ciconia) beschreiben. Störche, die bei uns inzwischen zu mehreren hundert Tieren überwintern, haben im Frühjahr die freie Auswahl unter den besten Nistplätzen. Eigentlich bleiben sie ihrem Horst lange treu, aber wer nun einmal zuerst da ist, klappert zuerst. Mitunter gilt das ebenso bei der Partnerwahl; Störche sind nicht wie früher angenommen monogam.

Weißstorch im Porträt
(c) Andreas Schäfferling/NABU-naturgucker.de
(c) Andreas Schäfferling/NABU-naturgucker.de
Es geht aufwärts
Immer mehr Paare brüten wieder in Deutschland. Seit 1934 werden sie gezählt, und von ihrem Tiefstand von nicht einmal mehr 3.000 Paaren im Jahr 1988 haben sie sich auf nun wieder über 7.500 Paare erholt.[1] Insbesondere in den vergangenen zehn Jahren ist der Bestand der ikonischen Vögel stark angewachsen. Das liegt einerseits an Maßnahmen zum Schutz der Tiere und ihrer Lebensgrundlagen, andererseits an einem veränderten Zugverhalten.
Die westwärts ziehenden Störche sparen sich inzwischen oftmals den Weg über die Meerenge von Gibraltar nach Afrika und schlagen sich stattdessen auf spanischen Müllhalden und Reisfeldern durch. Das kostet weniger Kraft und birgt weniger Gefahren, sodass sie eine höhere Überlebensrate haben. Zudem können sie früher ins Brutgebiet zurückkehren. Ostwärts ziehende Populationen aus Regionen östlich der Elbe, die weiterhin Langstrecke nach Ost- und Südafrika fliegen, stagnieren dagegen. Ihre Flugzeit ist zwei bis vier Wochen länger.
Die westwärts ziehenden Störche sparen sich inzwischen oftmals den Weg über die Meerenge von Gibraltar nach Afrika und schlagen sich stattdessen auf spanischen Müllhalden und Reisfeldern durch. Das kostet weniger Kraft und birgt weniger Gefahren, sodass sie eine höhere Überlebensrate haben. Zudem können sie früher ins Brutgebiet zurückkehren. Ostwärts ziehende Populationen aus Regionen östlich der Elbe, die weiterhin Langstrecke nach Ost- und Südafrika fliegen, stagnieren dagegen. Ihre Flugzeit ist zwei bis vier Wochen länger.

Weißstörche und andere Wintergäste in Andalusien im Dezember
(c) Hans-Werner Neumann/NABU-naturgucker.de
(c) Hans-Werner Neumann/NABU-naturgucker.de
Reich gedeckten Tisch finden sie in Deutschland nicht nur in den Flussniederungen mit Feuchtwiesen und Teichen sowie extensiv genutztem Grünland, was sie natürlicherweise bevorzugen. Bei uns gibt es ebenfalls „attraktive“ Mülldeponien und Kompostierungsanlagen, an denen sich zahlreiche Vögel versammeln wie am Buffet. Deshalb hat beispielsweise ihr Bestand in Südhessen deutlich zugenommen. Wird der Konkurrenzdruck um die besten Reviere zu groß, ist ihrem Wachstum hier vor Ort zunächst ein Ende gesetzt. Künftig müssen zudem auch Biomülldeponien eingehaust werden.

Weißstorchversammlung – insgesamt 91 Tiere wurden gezählt – nahe der Kompostierungsanlage im hessischen Biebesheim
(c) Roland Tichai/NABU-naturgucker.de
(c) Roland Tichai/NABU-naturgucker.de
Der Nase nach
Zu guten Nahrungsquellen lassen sich Störche auch vom Geruch leiten, wie Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell und des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz im vergangenen Sommer herausgefunden haben.[2] Bislang galten der Seh- und Hörsinn als maßgeblich für die Futtersuche von Vögeln. Es wurde daher angenommen, dass Sichtkontakt oder das Geräusch des Traktors die Storchenversammlungen auf frisch gemähten Wiesen lockt. Auf diesen können sich Schnecken, Frösche und kleine Nager nicht mehr verstecken und sind eine leichte Beute.

Weißstorchversammlung – insgesamt 41 Tiere wurden gezählt – auf einer frisch gemähten Wiese
(c) Ulrich Köller/NABU-naturgucker.de
(c) Ulrich Köller/NABU-naturgucker.de
Tatsächlich zieht der typische, aus drei verschiedenen Molekülen bestehende Geruch von frisch gemähtem Gras die Tiere an. Beobachtet wurden Störche, die mehr als 600 Meter von der entsprechenden Wiese entfernt waren und auch nicht von Artgenossen auf die Nahrungsquelle aufmerksam gemacht wurden. Am grasigen Tisch fanden sich nur diejenigen Störche ein, die sich zuvor windabwärts aufhielten und den Geruch wahrnehmen konnten. Windaufwärts stehende Störche kamen nicht.
In weiteren Versuchen reagierten die Tiere ebenfalls auf vor Längerem gemähte Wiesen, die zur Futtersuche eigentlich uninteressant sind, wenn auf diesen frisch geschnittenes Gras oder die entsprechenden Duftmoleküle verteilt wurden. Der Geruchssinn könnte also eine größere Rolle spielen als angenommen. Vögel haben zwar keine sichtbare Nase, aber im Gehirn einen Riechkolben mit vielen Rezeptormolekülen für Duftstoffe.
In weiteren Versuchen reagierten die Tiere ebenfalls auf vor Längerem gemähte Wiesen, die zur Futtersuche eigentlich uninteressant sind, wenn auf diesen frisch geschnittenes Gras oder die entsprechenden Duftmoleküle verteilt wurden. Der Geruchssinn könnte also eine größere Rolle spielen als angenommen. Vögel haben zwar keine sichtbare Nase, aber im Gehirn einen Riechkolben mit vielen Rezeptormolekülen für Duftstoffe.

Weißstorch mit Beute
(c) Udo Krupka/NABU-naturgucker.de
(c) Udo Krupka/NABU-naturgucker.de
Schutz weiterhin notwendig
Bei allen Erfolgsmeldungen: Zwar ist der Weißstorch nicht mehr in seinem Bestand gefährdet und konnte deshalb im Jahr 2021 aus der Roten Liste der Brutvögel herausgenommen und auf die Vorwarnliste gesetzt werden. Nach wie vor gehen ihm allerdings Lebensräume verloren. Rund 200 Hektar feuchtes Grünland benötigt ein Paar, um ausreichend Nahrung zu finden. Regenphasen im Frühjahr gefährden die Jungvögel, die in den hohen und massiven Horsten schnell auskühlen, wenn sie nass werden. Bleiben dann noch die Elterntiere am Nest, um sie zu schützen, kommt Hunger hinzu. Ihr erstes Jahr überleben bis zu 60 Prozent der Weißstörche nicht.

Erster Storchennachwuchs nach 53 Jahren im Dorf
(c) Rolf Jantz/NABU-naturgucker.de
(c) Rolf Jantz/NABU-naturgucker.de
Vögel der Agrarlandschaft, Insektenfresser und Zugvögel sind unter den heimischen Brutvögeln am stärksten bedroht. 43 Prozent der in Deutschland dauerhaft brütenden 259 Arten sind in der aktuellen Roten Liste aufgeführt.[3] Dabei zeigen gerade Erfolgsgeschichten wie die des Weißstorchs sowie von → Seeadler (Haliaeetus albicilla) und → Kranich (Grus grus), dass mit langfristigen und fachlich fundierten Schutzmaßnahmen viel zum Schutz unserer Vogelwelt erreicht werden kann. Das „Nationale Gremium Rote Liste Vögel“ fordert daher die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft auf, konsequente Maßnahmen gegen den Vogelartenschwund einzuleiten und umzusetzen. Die gesellschaftliche Unterstützung ist bereits groß, nun muss auch die Politik verstärkt handeln.

Weißstorch auf dem Nest
(c) Jens Winter/NABU-naturgucker.de
(c) Jens Winter/NABU-naturgucker.de
Mehr über Vögel erfahren
Mit dem kostenlosen Lernangebot Vögel der NABU|naturgucker-Akademie könnt ihr noch tiefer in die Welt der Gefiederten einsteigen. Darin erfahrt ihr unter anderem, wie Vögel ihren Gesang erzeugen. → Klickt euch jetzt rein!
[2] → Max-Planck-Gesellschaft: Die feine Nase der Störche – Der Geruchssinn führt Störche zu frisch gemähten Wiesen
[3] → NABU: Deutschlands Brutvögel massiv gefährdet – Neue Rote Liste der Brutvögel Deutschlands erschienen