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Tagfalter und Widderchen in Deutschland zunehmend gefährdet
Siebert, Ina [Ina Siebert2] - 19. Dez 2025, 08:35
Mehr als jede zehnte Insektenart, die in Deutschland vorkommt, ist ein Schmetterling: Knapp 3.700 Arten von Schmetterlingen sind hier nachgewiesen, rund 33.000 Arten von Insekten insgesamt. Jede dieser Spezies hat ihre einzigartige Lebensweise. Gemeinsam ist ihnen eine zunehmende Bedrohung durch Auswirkungen intensiver land- und forstwirtschaftlicher Nutzung, Einflüssen des Klimawandels mit wärmeren und trockeneren Jahren und eine nicht angepasste Nutzung und Pflege in Schutzgebieten.

Moselapollo, vom Aussterben bedroht
(c) Bernhard Konzen/NABU-naturgucker.de
(c) Bernhard Konzen/NABU-naturgucker.de
Im Dezember 2025 haben das Bundesamt für Naturschutz und das Rote-Liste-Zentrum die neue Rote Liste der Tagfalter und Widderchen veröffentlicht. 207 Arten und Unterarten gelten in Deutschland als etabliert und sind für diese Zusammenstellung untersucht worden. 10 Spezies sind bereits ausgestorben; 93 gelten als bestandsgefährdet. Für rund 24 Prozent der Arten hat sich die Bewertung seit der vorherigen Roten Liste von 2011 verschlechtert. Lediglich bei 14 Prozent der Spezies gibt es positive Veränderungen. Das liegt zum Teil an wärmeliebenden Arten wie dem → Brombeer-Perlmutterfalter (Brenthis daphne), die vom Klimawandel profitieren, und einer verbesserten Datenlage.[1]

Brombeer-Perlmutterfalter, ungefährdet
(c) Jens Winter/NABU-naturgucker.de
(c) Jens Winter/NABU-naturgucker.de
Für 10 Spezies hat Deutschland eine besondere Verantwortlichkeit, weil sie entweder fast nur hierzulande vorkommen oder die hiesigen Populationen isoliert und weit entfernt sind von den nächsten Vorkommen. Nur in der namensgebenden Region lebt der → Moselapollo (Parnassius apollo subsp. vinningensis). Ursprünglich im gesamten Moseltal verbreitet, ist er bereits seit Mitte der 1980er-Jahre vom Aussterben bedroht. Seit 2012 geht er weiter stark zurück, sodass inzwischen fast nur noch Einzeltiere dieser an südexponierten Felshängen lebenden Art nachgewiesen werden. Dürren, Verbuschung ehemals offener Hänge und neuartige Fungizide im Weinbau gelten als wahrscheinliche Ursachen. Im Jahr 2024 gelangen nur noch an vier Fundorten Nachweise von insgesamt 32 Individuen.[2] Von anderen Vorkommen des in Deutschland stark gefährdeten → Roten Apollos (Parnassius apollo) ist der Moselapollo so weit isoliert, dass er sich zu einer eigenen Unterart entwickelt hat. 2024 war er Schmetterling des Jahres, ernannt von BUND, BUND NRW Naturschutzstiftung und Melanargia e.V..

Dunkler Wiesenkopf-Ameisenbläuling, gefährdet
(c) Erich Hacker/NABU-naturgucker.de
(c) Erich Hacker/NABU-naturgucker.de
Der Schmetterling des Jahres 2026, der → Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Phengaris nausithous), stand 2011 noch auf der Vorwarnliste und gilt nach der aktuellen Roten Liste als gefährdet. Er ist sehr spezialisiert und benötigt ein komplexes Zusammenspiel mit dem → Großen Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis) und der → Roten Gartenameise bzw. Rotgelben Knotenameise (Myrmica rubra) auf extensiv genutzten Feuchtwiesen. Sowohl den erwachsenen Faltern als auch den Raupen dient der Große Wiesenknopf als Nahrungspflanze. Zunächst ernähren sich die Raupen von den Blüten, bevor sie sich nach mehreren Häutungen auf den Boden fallen lassen. Da sie wie Ameisenlarven riechen und ein attraktives, zuckerhaltiges Sekret abgeben, werden sie von Knotenameisen in ihr Nest getragen. Hier ernähren sie sich von den Larven der Ameisen. Nach der Puppenruhe schlüpfen die Ameisenbläulinge ein oder zwei Jahre später und müssen das Nest sehr schnell verlassen. Veränderungen in der Bewirtschaftung und des Klimas können diese notwendigen Lebensbedingungen gefährden. So steht der Große Wiesenknopf selbst auf der Vorwarnliste. Intensive Nutzung und zu häufige Mahd gefährden sowohl die Pflanze als auch den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Heißere und trockenere Böden setzen der Knotenameise zu. Um Feuchtwiesen mit Vorkommen dieser drei Arten so zu pflegen, dass sich alle ungestört entwickeln können, sind viel Handarbeit und eine Mahd oder Beweidung vor Ende Mai und nach Mitte September notwendig. Der Erhalt und die bessere Vernetzung entsprechender Lebensräume ist für die Art überlebenswichtig, da der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling sehr standorttreu ist und höchstens wenige Kilometer fliegt. Seinen Verbreitungsschwerpunkt hat er in Mittel- und Osteuropa.[3]
[2] → Musche, M.; Albrecht, M.; Becker, J.; Bittermann, J.; Blanckenhagen, B. von; Böck, O.; Caspari, A.; Caspari, S.; Dolek, M.; Harpke, A.; Hermann, G.; Joger, H.G.; Kolligs, D.; Lange, A.; Müller, D.; Nunner, A.; Pollrich, S.; Reinelt, T.; Rennwald, E.; Schmitz, O.; Schönborn, C.; Schulze, W.; Schurian, K.; Strätling, R.; Wachlin, V. & Wiemers, M. (2025): Rote Liste und Gesamtartenliste der Tagfalter und Widderchen (Lepidoptera: Papilionoidea et Zygaenidae) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (11): 94 S.
[3] → BUND NRW Naturschutzstiftung: Schmetterling des Jahres 2026: Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling