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Klima- und Landnutzungsänderungen bedrohen pflanzliche Biodiversität der Alpen

Siebert, Ina [Ina Siebert1] - 18. Jul 2025, 08:05
Die Alpen sind das größte und höchste Gebirge in Europa mit einer Länge von rund 1.200 Kilometern und einer maximalen Breite von gut 250 Kilometern. Waren die Alpen ursprünglich bis zur Baumgrenze bewaldet, hat der Mensch hier durch Rodungen und landwirtschaftliche Nutzung über die Jahrhunderte eine Kulturlandschaft mit einer hohen Artenvielfalt geschaffen. Zunehmende Bebauung, intensivere sowie veränderte Nutzung und die Auswirkungen des Klimawandels gefährden allerdings diese Biodiversität.
Anhand von Satellitenbildern und Genanalysen hat ein internationales Forschungsteam um Wissenschaftler von Senckenberg gezeigt, dass der durch den Klima- und Landnutzungswandel geförderte Vegetationszuwachs in europäischen Gebirgen zu einem Rückgang der genetischen Vielfalt der Pflanzen führt. Das wiederum gefährdet das Überleben von Arten. Untersucht haben die Forschenden [xln url="https://nabu-naturgucker-beobachtungen.de/?album=19534402416"]→ Gliedkräuter (Sideritis)[/xln], eine für die montane Graslandflora im Mittelmeerraum typische Gattung. Genetische Analysen wurden an Herbarbelegen aus den 1970er-Jahren und heutigen Pflanzenproben durchgeführt. In acht von elf untersuchten griechischen Gebirgsregionen ist die genetische Vielfalt in diesem Zeitraum zurückgegangen – teils sind heute bis zu 20 Prozent des Genoms einzelner Pflanzen von Inzucht betroffen. Laut den Forschenden lässt sich der Rückgang der genetischen Vielfalt mit einer erstaunlich hohen Genauigkeit allein anhand der Zunahme der Vegetationsdichte vorhersagen. Sie raten daher, Schutzmaßnahmen vor allem in Gebieten zu ergreifen, die davon besonders betroffen sind.[fn] Theodoridis, Spyros et al. Satellite-observed mountain greening predicts genomic erosion in a grassland medicinal herb over half a century. Current Biology, Volume 35, Issue 12, 2761 - 2770.e5. DOI: [xln url="https://doi.org/10.1016/j.cub.2025.04.007"]→ 10.1016/j.cub.2025.04.007[/xln][/fn]
Hallers Greiskraut im Saastal in der Schweiz, (c) Karl-Heinz Fuldner/NABU-naturgucker.de
Hallers Greiskraut im Saastal in der Schweiz
(c) Karl-Heinz Fuldner/NABU-naturgucker.de
Noch sind die Alpen eines der ausgedehntesten Naturgebiete und ein Hotspot der Biodiversität in Europa. Rund 4.500 Arten von Gefäßpflanzen kommen hier vor, was mehr als einem Drittel der gesamten in Westeuropa erfassten Flora entspricht. Etwa 400 Arten sind in den Alpen endemisch. Mit der zunehmenden Erwärmung wandern immer mehr Spezies in die Höhe, was dort die Konkurrenz erhöht und kälteangepasste Arten, die nicht weiter ausweichen können, zusätzlich bedroht. Nutzungsaufgaben bedrohen die Vielfalt, wenn sich beispielsweise auf ehemals artenreichen Weiden Wald entwickelt. Ein internationales Team unter Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und der ETH Zürich hat deshalb untersucht, wie die bestehenden Schutzgebiete angepasst werden müssen, um auf diese Verschiebungen zu reagieren und die biologische Vielfalt dauerhaft zu schützen. Anhand von digitalen Verbreitungskarten einzelner Pflanzenarten unter heutigen sowie künftigen Klima- und Landnutzungsbedingungen haben sie Gebiete ermittelt, die den Schutz der pflanzlichen Biodiversität am besten erweitern und ergänzen – jetzt, 2050 und 2080. Von 18 auf etwa 35 Prozent der Alpenfläche ergänzten und erweiterten die Forschenden das Mosaik der aus ihrer Sicht notwendigen Schutzgebiete. Wichtig ist auch eine länderübergreifende Koordination des Schutzes.[1]
Besenheide am Lignitzsee in Österreich, (c) Jonas Sielenkämper/NABU-naturgucker.de
Besenheide am Lignitzsee in Österreich
(c) Jonas Sielenkämper/NABU-naturgucker.de
Mit den Auswirkungen der reduzierten Schneedecke und einer Ausbreitung von Zwergsträuchern auf den Stickstoffkreislauf im Boden hat sich ein europäisches Forschungsteam beschäftigt. Demnach wird das zeitliche Zusammenspiel von Pflanzen und Bodenmikroorganismen gestört. Üblicherweise werden Nährstoffe von absterbenden Pflanzen im Herbst wieder dem Boden zugeführt, und die Bodenmikroben sind auch unter der schützenden Schneedecke aktiv. So stehen den Pflanzen im Frühjahr Nährstoffe für ihr Wachstum zur Verfügung. Unter den veränderten Bedingungen verringern sich jedoch die Stickstoffaufnahme der Pflanzen und die mikrobielle Menge an Stickstoff im Boden. Der Nährstoffkreislauf im Frühjahr und Herbst verlangsamte sich. Dadurch könnten die alpinen Ökosysteme womöglich weniger Stickstoff speichern und die Produktivität der Pflanzen künftig weniger unterstützen.[2]
Balkan-Gliedkraut auf dem Falakro in Griechenland, (c) Alexander Wirth/NABU-naturgucker.de
Balkan-Gliedkraut auf dem Falakro in Griechenland
(c) Alexander Wirth/NABU-naturgucker.de
Anhand von Satellitenbildern und Genanalysen hat ein internationales Forschungsteam um Wissenschaftler von Senckenberg gezeigt, dass der durch den Klima- und Landnutzungswandel geförderte Vegetationszuwachs in europäischen Gebirgen zu einem Rückgang der genetischen Vielfalt der Pflanzen führt. Das wiederum gefährdet das Überleben von Arten. Untersucht haben die Forschenden → Gliedkräuter (Sideritis), eine für die montane Graslandflora im Mittelmeerraum typische Gattung. Genetische Analysen wurden an Herbarbelegen aus den 1970er-Jahren und heutigen Pflanzenproben durchgeführt. In acht von elf untersuchten griechischen Gebirgsregionen ist die genetische Vielfalt in diesem Zeitraum zurückgegangen – teils sind heute bis zu 20 Prozent des Genoms einzelner Pflanzen von Inzucht betroffen. Laut den Forschenden lässt sich der Rückgang der genetischen Vielfalt mit einer erstaunlich hohen Genauigkeit allein anhand der Zunahme der Vegetationsdichte vorhersagen. Sie raten daher, Schutzmaßnahmen vor allem in Gebieten zu ergreifen, die davon besonders betroffen sind.[3]

[1] Chauvier-Mendes, Y., Pollock, L.J., Verburg, P.H. et al. Transnational conservation to anticipate future plant shifts in Europe. Nat Ecol Evol 8, 454–466 (2024). DOI: → 10.1038/s41559-023-02287-3
[2] Broadbent, A. A. D., Newbold, L. K., Pritchard, W. J., Michas, A., Goodall, T., Cordero, I., Giunta, A., Snell, H. S. K., Pepper, V. V. L. H., Grant, H. K., Soto, D. X., Kaufmann, R., Schloter, M., Griffiths, R. I., Bahn, M., & Bardgett, R. D. (2024). Climate change disrupts the seasonal coupling of plant and soil microbial nutrient cycling in an alpine ecosystem. Global Change Biology, 30, e17245. DOI: → 10.1111/gcb.17245
[3] Theodoridis, Spyros et al. Satellite-observed mountain greening predicts genomic erosion in a grassland medicinal herb over half a century. Current Biology, Volume 35, Issue 12, 2761 - 2770.e5. DOI: → 10.1016/j.cub.2025.04.007

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