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Klimawandel gefährdet Artenreichtum im Wattenmeer und in den Meeren

Siebert, Ina [Ina Siebert2] - 30. Mai 2025, 08:10
Über eine Länge von 450 Kilometern erstreckt sich das Wattenmeer vor der Küste der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks. Es ist das größte zusammenhängende System von Sand- und Schlickwatten der Welt. Entstanden ist das Wattenmeer nach dem Ende der letzten Eiszeit und dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels. Seine geologischen und ökologischen Prozesse und die Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt sind weltweit herausragend.
Pfuhlschnepfen im Mai 2019 in den Salzwiesen auf Amrum, (c) Jens Beyer/NABU-naturgucker.de
Pfuhlschnepfen im Mai 2019 in den Salzwiesen auf Amrum
(c) Jens Beyer/NABU-naturgucker.de
11.500 Quadratkilometer des Wattenmeers zählen zum UNESCO-Weltnaturerbe. 2009 wurde das deutsch-niederländische Wattenmeer aufgenommen, 2011 und 2014 folgten das Hamburgische Wattenmeer und der größte Teil des dänischen Wattenmeers. Die zahlreichen Übergangszonen zwischen Land, Meer und Süßwasser sind Lebensräume für eine Fülle von Arten, die speziell an diese Umweltbedingungen angepasst sind. Rund 2.300 Tier- und Pflanzenarten leben in den Salzwiesen, weitere 2.700 Spezies in den Meeres- und Brackwassergebieten. 30 Brutvogelarten sind nachgewiesen. Besondere Bedeutung hat das Wattenmeer auch für Zugvögel, die auf dem East Atlantic Flyway zwischen der Arktis und Afrika ziehen und hier rasten. Bis zu 6,1 Millionen Vögel können sich gleichzeitig im Wattenmeer aufhalten, und jährlich ziehen im Schnitt 10 bis 12 Millionen Vögel durch.[1]
Wattwürmer im September 2020 auf Föhr, (c) Karin Braun/NABU-naturgucker.de
Wattwürmer im September 2020 auf Föhr
(c) Karin Braun/NABU-naturgucker.de
Um das Wattenmeer als ökologische Einheit zu schützen, arbeiten die Niederlande, Deutschland und Dänemark seit 1978 zusammen. Diese → Trilaterale Wattenmeerzusammenarbeit fördert Kooperation und Austausch zwischen Politik, Naturschutz, Wissenschaft, Verwaltung und Interessengruppen vor Ort. 2024 hat sie als Teil des Qualitätszustandsberichts für das Wattenmeer einen wissenschaftlichen Bericht zum Klimawandel veröffentlicht und darin die Veränderungen von Wetter und Klima, Morpho- und Hydrodynamik, Biodiversität, Ökosystem und menschlichen Aktivitäten dargestellt. Vor allem der Anstieg der Temperatur und des Meeresspiegels sowie extreme Wetterereignisse wirken sich tiefgreifend auf das Wattenmeer aus. Verschiebungen in der Artenverteilung, Veränderungen in den Zug- und Brutzeiten sowie ökologische Ungleichgewichte sind bereits zu beobachten.
Gemeine Herzmuscheln im Mai 2019 auf Texel, (c) Rainer Ziebarth/NABU-naturgucker.de
Gemeine Herzmuscheln im Mai 2019 auf Texel
(c) Rainer Ziebarth/NABU-naturgucker.de
Im Zeitraum von 1860 bis 2021 erreichten die durchschnittlichen jährlichen Meerwassertemperaturen im westlichen Wattenmeer (gemessen im Gezeiteneinlauf Marsdiep) in den Jahren 2007, 2014 und 2020 Höchstwerte. Temperaturen der Wasseroberfläche erhöhen sich schneller als die der Luft. Durch Kälteeinbrüche und Hitzewellen können Lebewesen sterben. So wurden in der Hitzewelle von 2018 auf Texel mittags am 7. August Temperaturen von 29 °Celsius im 3 Zentimeter tiefen Sediment und 25 °Celsius in 15 Zentimetern Tiefe gemessen. → Gemeine Herzmuscheln (Cerastoderma edule) sterben in Laborversuchen bei Temperaturen von 35 °Celsius über mehr als 6 Stunden ab. 2018 verendeten im niederländischen Wattenmeer 60 Prozent der zweijährigen und 66 Prozent der älteren Herzmuscheln – im Vergleich zu 28 Prozent in Jahren ohne Hitzewellen. Beim → Wattwurm (Arenicola marina) wird eine Wanderung nach Norden erwartet, womit er als wichtiger Ökosystemingenieur im Wattenmeer fehlen wird. Die Veränderungen durch den Klimawandel verstärken die Auswirkungen von anderen menschlichen Aktivitäten auf das Ökosystem Wattenmeer. Notwendig sind ein noch stärker koordiniertes Vorgehen gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen auf das Wattenmeer, wozu beispielsweise auch Monitoring und Forschung intensiviert werden sollten.[2]
Weichkoralle Scleronephthya corymbosa im November 1991 im Great Barrier Reef, (c) Rainer Ziebarth/NABU-naturgucker.de
Weichkoralle Scleronephthya corymbosa im November 1991 im Great Barrier Reef
(c) Rainer Ziebarth/NABU-naturgucker.de
Die Dringlichkeit verdeutlicht auch eine jüngst veröffentlichte Studie der Oregon State University, der zufolge mehr als 3.500 Arten weltweit durch den Klimawandel bedroht sind. Waren bislang die Übernutzung und Veränderungen von Lebensräumen die Hauptursachen des Biodiversitätsverlusts, entwickelt sich nun der Klimawandel zu einem weiteren Hauptfaktor. Ermittelt haben das die Forschenden anhand zweier Datensätze zur Biodiversität mit 70.814 Arten aus 35 Klassen. Besonders betroffen sind marine Wirbellose, da die Meere sehr viel Wärme absorbieren und die Wirbellosen den veränderten Lebensbedingungen nur schlecht ausweichen können. So sind die Weichtiere an der Küste Israels um 90 Prozent zurückgegangen, und 29 Prozent der Korallen des Great Barrier Reefs sind durch eine Hitzewelle 2016 abgestorben. Über die Nahrungsnetze haben derartige Ereignisse auch Auswirkungen auf Fische, Vögel oder Wale. Eine weitere Sorge der Forschenden ist der geringe Wissensstand über die Risiken des Klimawandels für Tiere. Für 66 von 101 Tierklassen gibt es keine Gefährdungsbewertungen der → International Union for Conservation of Nature (IUCN). Die 70.814 bewerteten Spezies entsprechen gerade einmal 5,5 Prozent aller heute lebenden beschriebenen Wildtierarten. Daher halten die Forschenden eine globale Datenbank über die durch den Klimawandel verursachte Massensterblichkeit von Tierarten in allen Ökosystemen und eine Beschleunigung bei der Bewertung der derzeit ignorierten Arten für dringend notwendig.[3]

[2] Philippart, C., Baptist, M., Bastmeijer, K., Bregnballe, T., Buschbaum, C., Hoekstra, P., Laursen, K., van Leeuwen, S. M., Oost, A. P., Wegner, M., & Zijlstra, R. (2024). Wadden Sea Quality Status Report: Climate Change. Common Wadden Sea Secretariat. DOI: → 10.5281/zenodo.15111640
[3] William J Ripple, Christopher Wolf, Jillian W Gregg, Erik Joaquín Torres-Romero, Climate change threats to Earth's wild animals, BioScience, 2025;, biaf059. DOI: → 10.1093/biosci/biaf059

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