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Hintergründe und Neues aus der Forschung leicht verständlich erklärt
Wie Kraniche Umweltbedingungen navigieren
Siebert, Ina [Ina Siebert1] - 18. Okt 2024, 07:15
Bei der Wahl zum → Vogel des Jahres 2025 hat der → Kranich (Grus grus) zwar nicht gewonnen, doch verfolgen viele Menschen intensiv das Geschehen an den Rastplätzen und auf dem Zug. Bereits mehr als 100.000 ziehende Kraniche sind in diesem Jahr bis Mitte Oktober über Hessen gemeldet worden. Auf → NABU-naturgucker.de sind am 4. Oktober rund 110.000 Individuen in und über Deutschland eingetragen worden, am 16. Oktober gar fast 150.000. Im vergangenen Jahr dagegen harrten die ikonischen Vögel wegen schlechter Wetterbedingungen bis Mitte November in Norddeutschland aus.

Kranich am 29. August 2024, (c) Ulrich Köller/NABU-naturgucker.de
Sie sind überwiegend Kurzstreckenzieher und überwintern in Südeuropa und Nordafrika. Wie Kraniche im Jahresverlauf ihre Umweltbedingungen möglichst nach ihren Bedürfnissen wählen, hat ein internationales Forschungsteam untersucht. Dazu haben sie 104 Individuen von vier Kranicharten mit Sendern ausgestattet und ihre Bewegungen in Europa, Afrika und Asien aufgezeichnet. Vier ökologische Schlüsselkomponenten wurden betrachtet, die für Kraniche wichtig sind: der Anteil der Pflanzen für die Nahrungssuche, die Nähe zum Wasser für sichere Schlafplätze, der Vegetationsindex für die generelle Verfügbarkeit von Ressourcen sowie die Temperatur.

Kraniche am 16. Oktober 2024, (c) Peter Trentz/NABU-naturgucker.de
Alle Arten folgten einem saisonalen Rhythmus und erlebten und suchten dabei unterschiedliche Umweltbedingungen je nach ihrem Lebenszyklus. So war in der zweiten Hälfte der Brutzeit im Sommer besonders der Anteil von Pflanzen für die Nahrungssuche von Bedeutung bei der Standortwahl. Neben der Aufzucht der Jungen bereiten sich die Kraniche in dieser Zeit bereits auf den Zug vor. Teils mussten die Vögel zwischen konkurrierenden Bedürfnissen abwägen. → Schwarzhalskraniche (Grus nigricollis) bevorzugten auf dem Zug sichere Schlafplätze, in der Brutzeit dagegen Plätze mit hoher Nahrungsverfügbarkeit. Mit ihren Bewegungen erschließen sich die Kraniche Räume, die ihre Bedürfnisse bestmöglich erfüllen. Ein besseres Verständnis, wie Tiere in ihrer komplexen Umgebung überleben, kann dazu beitragen, Strategien und Maßnahmen zur Bewältigung von Klimawandel und Verlust der Biodiversität zu entwickeln. In ihrer Studie haben die Forschenden ein statistisches Instrument zum Verständnis dieser Beziehungen zwischen Tieren und ihrer Umwelt entwickelt.[1]
Aktuelle Informationen zum Kranichzug über Deutschland veröffentlicht der NABU: → Kranichzug aktuell
Beobachtungen können gemeldet werden auf → NABU-naturgucker.de/Kranichzug
[1] Scott W. Yanco, Ruth Y. Oliver, Fabiola Iannarilli et. al. Migratory birds modulate niche tradeoffs in rhythm with seasons and life history. Proceedings of the National Academy of Sciences, September 23, 2024. DOI: → 10.1073/pnas.2316827121