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Faktencheck Artenvielfalt: Biodiversität in Deutschland

Siebert, Ina [Ina Siebert2] - 11. Okt 2024, 08:15
Wie steht es um die biologische Vielfalt in Deutschland? Mehr als 150 Wissenschaftler*innen von 75 Institutionen haben über 6.000 Publikationen ausgewertet und die Ergebnisse in einer Datenbank zusammengeführt. Im → Faktencheck Artenvielfalt stellen sie ihre Bestandsaufnahme vor und geben Empfehlungen. Der Bericht soll dazu beitragen, dass die biologische Vielfalt erhalten werden kann – „um ihrer selbst willen, als natürliche Grundlage für das menschliche Wohlergehen und als Teil unserer Kultur“, wie die Autor*innen im Vorwort schreiben.
Bedrohter Lebensraum: Hochmoor Kendlmühlfilzen im Landkreis Traunstein, (c) Margot Stosch/NABU-naturgucker.de
Bedrohter Lebensraum: Hochmoor Kendlmühlfilzen im Landkreis Traunstein
(c) Margot Stosch/NABU-naturgucker.de

Lebensraumtypen

Untersucht und behandelt wird die biologische Vielfalt in all ihren Facetten: Artenvielfalt, funktionelle und genetische Vielfalt sowie Vielfalt der Lebensräume. Betrachtet wurden 93 Lebensraumtypen, die für Agrar- und Offenland, Wald, Binnengewässer und Auen, Küsten- und Küstengewässer sowie urbane Räume beschrieben werden. 60 Prozent davon sind in einem unzureichenden oder schlechten Erhaltungszustand.

Arten

Rund 72.000 Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen sind in Deutschland heimisch. Bislang wurden rund 40 Prozent auf ihre Gefährdung hin untersucht und in der Roten Liste erfasst. Fast ein Drittel gilt als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Drei Prozent der Arten sind bereits ausgestorben.

Langzeitmonitoring fehlt

In Deutschland wird zwar viel zur biologischen Vielfalt geforscht, doch es gibt kein über die Artengruppen und Ökosysteme hinweg standardisiertes und repräsentatives Langzeitmonitoring. Bestehende Erfassungen sind meist nicht aufeinander abgestimmt. Ein vereinheitlichtes und dauerhaftes Monitoring ist notwendig, um Entwicklungen der biologischen Vielfalt besser zu erkennen und zu verstehen und um die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen prüfen zu können.
Insekten gehen besonders stark zurück: Gefährdeter Mosel-Apollo, (c) Bernhard Konzen/NABU-naturgucker.de
Insekten gehen besonders stark zurück: Gefährdeter Mosel-Apollo
(c) Bernhard Konzen/NABU-naturgucker.de

Leistungen für Menschen

Nur biologisch vielfältige Lebensgemeinschaften können uns mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen versorgen und weitere für uns unverzichtbare Leistungen erbringen. Sie sichern die Bestäubung, halten Nährstoffkreisläufe aufrecht, tragen zum Klimaschutz bei und fördern den Rückhalt von Wasser in der Landschaft sowie den Küsten- und Erosionsschutz.

Leistungsfähigkeit

Ökosysteme mit einer hohen biologischen Vielfalt sind leistungsfähiger und stabiler. Arten unterstützen sich gegenseitig bei den verschiedenen Leistungen und können sich bei Störungen gegenseitig vertreten. Gegenspieler wie Krankheitserreger, Parasiten und Fressfeinde bilden in artenreichen Gemeinschaften kleinere Populationen.

Klimaschutz und Artenvielfalt

Je mehr Arten auf einer Wiese oder im Wald vorkommen, umso mehr Kohlenstoffdioxid kann in der organischen Substanz gebunden werden. Bodenorganismen unterstützen Nährstoffkreisläufe und damit ebenfalls die langfristige Speicherung des Treibhausgases. Artenreiche Lebensräume sind zudem resistenter gegenüber Klimaextremen.
Nationalpark Hainich, die größte nutzungsfreie Laubwaldfläche Deutschlands, (c) Gerhard Fischer/NABU-naturgucker.de
Nationalpark Hainich, die größte nutzungsfreie Laubwaldfläche Deutschlands
(c) Gerhard Fischer/NABU-naturgucker.de

Gründe

Der Verlust an Lebensräumen verringert die biologische Vielfalt. Landlebensräume sind zerstört und zerschnitten; Strukturen wie Hecken, Wegränder und Kleingewässer werden entfernt. Artenreiche historische Nutzungsformen wie Hutewälder existieren kaum noch. Die Landschaft wird entwässert, und Fließgewässer werden stark verändert. Städte erfahren eine zunehmende Verdichtung. Agrar- und Kulturlandschaften sowie Gewässer werden immer intensiver genutzt.
Seit Anfang der 1950er-Jahre ist die jährliche Durchschnittstemperatur in Deutschland um 1,8 °C angestiegen. In den Meeresgewässern beträgt die Zunahme seit 1969 rund 1,5 °C. Kältetolerante Arten sterben aus, während sich wärmeliebende Arten ausbreiten und neu einwandern. Arten, die miteinander agieren, reagieren teils unterschiedlich auf die Verschiebungen in den Jahreszeiten. Ein zunehmendes Problem stellt die Trockenheit dar.
Mindestens 1.015 gebietsfremde Arten haben sich in Deutschland etabliert. Davon werden 107 als invasiv eingestuft, weil sie in ihrer Zahl und Ausbreitung stark zunehmen und negative Effekte auf die heimischen Arten und den Menschen haben.
Der Biber gilt als Ökosystemingenieur, (c) Angelika Nijhoff/NABU-naturgucker.de
Der Biber gilt als Ökosystemingenieur
(c) Angelika Nijhoff/NABU-naturgucker.de

Umweltbildung

Viele Menschen sind der Natur entfremdet und haben zu wenige Kenntnisse darüber, welchen Wert die biologische Vielfalt auch für unser Wohlergehen hat. Bildungs-, Natur- und Tourismusangebote sowie die Berichterstattung in den Medien können hier einen positiven Einfluss haben. Um einen transformativen Wandel anzustoßen, muss das Wissen auch mit Werten verknüpft werden. Wer bei Nutzungskonzepten und Planungsprozessen mitbestimmen kann, erlebt Selbstwirksamkeit.

Maßnahmen

Die Autor*innen sind überzeugt, dass alle gesellschaftlichen Akteure einen transformativen Wandel unterstützen können: zivilgesellschaftliche Organisationen, Bildungseinrichtungen, Wissenschaft, Unternehmen, Akteure in Politik und Verwaltung und jede*r Einzelne. Zu den bewährten Maßnahmen, mit denen die Biodiversität geschützt werden kann, zählen sie naturbasierte Lösungen, eine Ausweitung des Schutzgebietssystems, die Renaturierung verloren gegangener Habitattypen sowie innovative biodiversitätsfördernde Technologien der Landnutzung, die biologische Vielfalt gezielt zur Erhöhung und Stabilisierung der Leistungsfähigkeit unserer Ökosysteme einsetzen.
Mit 38 Kernaussagen, die hier auszugsweise wiedergegeben sind, beginnt der Faktencheck Artenvielfalt. Über 1.200 Seiten hat die Bestandsaufnahme (→ kostenloser Download Faktencheck Artenvielfalt); 100 Seiten die Zusammenfassung für die gesellschaftliche Entscheidungsfindung (→ kostenloser Download Faktencheck Artenvielfalt, Zusammenfassung).

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