
Wissen
Hintergründe und Neues aus der Forschung leicht verständlich erklärt
Jungfernzeugung im Tierreich
Schulemann-Maier, Gaby [Gaby Schulemann-Maier] - 23. Dez 2021, 07:00
Wir nehmen das Weihnachtsfest und die laut Erzählung zu jener Zeit erfolgte Geburt Jesu zum Anlass, uns mit einem spannenden Fortpflanzungsthema zu beschäftigen: der Zeugung von Nachkommen ohne die Befruchtung von Eizellen durch einen Vater. Für uns Menschen als höhere Säugetiere gilt sie als schwierig bis unmöglich – zumindest nach derzeitigem Wissensstand. Anders als für Homo sapiens ist diese als Parthenogenese bezeichnete Entstehung neuen Lebens aus unbefruchteten Eizellen üblich für zahlreiche Tierarten. Eine kürzlich erfolgte Entdeckung lässt vermuten, dass sie sogar noch häufiger vorkommen könnte, als bislang angenommen wurde.

Große Rosenblattlaus
(c) Katrin Schneider/NABU-naturgucker.de
(c) Katrin Schneider/NABU-naturgucker.de
Blattläuse und Gallwespen
Unter den Insekten gibt es etliche Arten, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen können. In freier Natur ebenso wie in Gärten und auf Zierpflanzen finden sich die lebenden Beweise in Form von → Blattläusen (Aphididae). Größtenteils entstammen diese Tiere aus der Parthenogenese , doch es gibt bei ihnen genauso die Fortpflanzung, an der Männchen beteiligt sind. Diese Generation, bestehend aus Männchen und Weibchen, bringt Nachkommen hervor, die Genmaterial ihrer Mütter und Väter tragen. Alle anderen Generationen – je nach Blattlausart und Umweltbedingungen bis zu 40 – bestehen nur aus Weibchen, die sich fortpflanzen. Im Leib dieser Tiere entwickeln sich die Jungen, sie werden lebend geboren. Weil keine Väter mit von der Partie sind, werden den neu geborenen Blattläusen somit lediglich die Gene ihrer Mütter vererbt.
Würde es ewig so weitergehen, dann würde das Genmaterial mit der Zeit zu eintönig sein. Doch einmal jährlich sorgen die Männchen für „genetischen frischen Wind“. Blattlausnachkommen, die durch zwei Elterntiere gezeugt wurden, kommen nicht lebend zur Welt. Nach der Befruchtung durch die Männchen produzieren die Weibchen Eier, legen diese und erst zu einem späteren Zeitpunkt schlüpft daraus die nächste Blattlausgeneration.
Würde es ewig so weitergehen, dann würde das Genmaterial mit der Zeit zu eintönig sein. Doch einmal jährlich sorgen die Männchen für „genetischen frischen Wind“. Blattlausnachkommen, die durch zwei Elterntiere gezeugt wurden, kommen nicht lebend zur Welt. Nach der Befruchtung durch die Männchen produzieren die Weibchen Eier, legen diese und erst zu einem späteren Zeitpunkt schlüpft daraus die nächste Blattlausgeneration.

Zwei Lebendgeburten bei der Ackerdistel-Blattlaus
(c) Gaby Schulemann-Maier/NABU-naturgucker.de
(c) Gaby Schulemann-Maier/NABU-naturgucker.de
Ähnlich verhält es sich unter anderem bei einigen → Gallwespen (Cynipidae), also Hautflüglern. Durch deren Einwirken entstehen Wucherungen an Pflanzen, in denen sich die Larven dieser Insekten entwickeln. Für die Mehrheit der Gallwespenarten ist ein Generationswechsel ebenso wie für die Blattläuse typisch. Es läuft bei den kleinen Hautflüglern zumeist so ab wie bei der → Eichenrosen-Gallwespe (Andricus foecundatrix): Im Rahmen der sexuellen Fortpflanzung paaren sich Männchen und Weibchen. Anschließend platzieren Letztere ihre befruchteten Eier in den Knospen von → Stiel-Eichen (Quercus robur).
Weil sie bei der Eiablage chemische Substanzen mit absondern, verändern sich die Knospen. Sie wandeln sich um zu Pflanzengallen, in denen die Larven geschützt heranwachsen und wo sie Nahrung finden. Als Larven überdauern diese Insekten den Winter. Im folgenden Frühling schlüpfen ausschließlich weibliche Eichenrosen-Gallwespen, die unbefruchtete Eier in die männlichen Blütenknospen der Eichen legen. Es entstehen wiederum Pflanzengallen, in denen die Larven heranwachsen, aus denen die nächste zweigeschlechtliche Generation hervorgeht.
Weil sie bei der Eiablage chemische Substanzen mit absondern, verändern sich die Knospen. Sie wandeln sich um zu Pflanzengallen, in denen die Larven geschützt heranwachsen und wo sie Nahrung finden. Als Larven überdauern diese Insekten den Winter. Im folgenden Frühling schlüpfen ausschließlich weibliche Eichenrosen-Gallwespen, die unbefruchtete Eier in die männlichen Blütenknospen der Eichen legen. Es entstehen wiederum Pflanzengallen, in denen die Larven heranwachsen, aus denen die nächste zweigeschlechtliche Generation hervorgeht.

Zwei Pflanzengallen der Eichenrosen-Gallwespe
(c) Bernt Schmidt/NABU-naturgucker.de
(c) Bernt Schmidt/NABU-naturgucker.de
Jungfräulich gezeugte Drachen
Bei Winzlingen wie den → Bärtierchen (Tardigrada) wurde die Jungfernzeugung ebenso nachgewiesen wie bei manchen Rochen, Schnecken und Reptilien. Beispielsweise kann sich der → Komodo-Waran (Varanus komodoensis) selbst befruchten. Bewiesen haben das in britischen Zoos lebende Weibchen, die keinen Kontakt zu Männchen hatten. Genetische Untersuchungen ihrer Nachkommen haben belegt, dass die jungen Warane lediglich Genmaterial ihrer Mütter geerbt haben.[1]

Komodo-Waran
(c) Axel Ringhofer/NABU-naturgucker.de
(c) Axel Ringhofer/NABU-naturgucker.de
Vögel ohne Väter
Schon in der Vergangenheit war bei einigen domestizierten Vögeln in seltenen Fällen die Jungfernzeugung beobachtet worden, etwa bei Haushühnern. Dass auch Wildvögel dazu in der Lage sind, sich auf diese Weise zu vermehren, offenbarten jüngst Genanalysen an → Kalifornischen Kondoren (Gymnogyps californianus).[2]
Im Rahmen eines seit über drei Jahrzehnten unter hohem finanziellem wie zeitlichem Aufwand betriebenen Rettungsprojekts für diese großen Greifvögel wurde das Genmaterial praktisch aller noch existierenden Tiere untersucht. Ziel der Schutzbemühungen ist es, die vor nicht allzu langer Zeit beinahe ausgestorbenen Vögel möglichst optimal zu vermehren. Bei der Zusammenstellung der Paare wird bei dem Nachzuchtprojekt darauf gesetzt, Inzucht zu vermeiden.
Sehr zum Erstaunen der Forschenden förderten die Analysen der Vogel-DNA zutage, dass zwei der Küken aus dem Zuchtprogramm keine biologischen Väter hatten. Ihr Erbgut wies zwar männliche Geschlechtschromosomen auf, diese waren jedoch von den Müttern an sie weitergegeben worden. Besonders erstaunlich daran ist, dass beide Weibchen jeweils mit unterschiedlichen Männchen durch Paarung Nachwuchs gezeugt hatten. Zudem entstammen die beiden Jungtiere Gelegen, die in Anwesenheit von Männchen produziert worden waren.
Aus dieser Entdeckung lässt sich schließen, dass die Jungfernzeugung in der Natur mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verbreitet ist, als bisher angenommen wurde. Vermutlich würden sich zahlreiche Fälle aufdecken lassen, wenn entsprechende groß angelegte Analysen durchgeführt werden könnten. Diese anhand der Kondore gewonnene neue Erkenntnis könnte künftig von großer Bedeutung für Arterhaltungs-Zuchtprojekte sein. Gelänge es in Zukunft, die Parthenogenese bei hoch bedrohten Arten bewusst herbeizuführen, um die Vermehrungserfolge zu steigern, könnte das zur Rettung dieser Tiere beitragen. Noch ist das allerdings Zukunftsmusik.
Im Rahmen eines seit über drei Jahrzehnten unter hohem finanziellem wie zeitlichem Aufwand betriebenen Rettungsprojekts für diese großen Greifvögel wurde das Genmaterial praktisch aller noch existierenden Tiere untersucht. Ziel der Schutzbemühungen ist es, die vor nicht allzu langer Zeit beinahe ausgestorbenen Vögel möglichst optimal zu vermehren. Bei der Zusammenstellung der Paare wird bei dem Nachzuchtprojekt darauf gesetzt, Inzucht zu vermeiden.
Sehr zum Erstaunen der Forschenden förderten die Analysen der Vogel-DNA zutage, dass zwei der Küken aus dem Zuchtprogramm keine biologischen Väter hatten. Ihr Erbgut wies zwar männliche Geschlechtschromosomen auf, diese waren jedoch von den Müttern an sie weitergegeben worden. Besonders erstaunlich daran ist, dass beide Weibchen jeweils mit unterschiedlichen Männchen durch Paarung Nachwuchs gezeugt hatten. Zudem entstammen die beiden Jungtiere Gelegen, die in Anwesenheit von Männchen produziert worden waren.
Aus dieser Entdeckung lässt sich schließen, dass die Jungfernzeugung in der Natur mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verbreitet ist, als bisher angenommen wurde. Vermutlich würden sich zahlreiche Fälle aufdecken lassen, wenn entsprechende groß angelegte Analysen durchgeführt werden könnten. Diese anhand der Kondore gewonnene neue Erkenntnis könnte künftig von großer Bedeutung für Arterhaltungs-Zuchtprojekte sein. Gelänge es in Zukunft, die Parthenogenese bei hoch bedrohten Arten bewusst herbeizuführen, um die Vermehrungserfolge zu steigern, könnte das zur Rettung dieser Tiere beitragen. Noch ist das allerdings Zukunftsmusik.

Kalifornischer Kondor
(c) Martin Meßmer/NABU-naturgucker.de
(c) Martin Meßmer/NABU-naturgucker.de
Jungfernzeugung beim Menschen
Forschende sind sich darin einig, dass die Parthenogenese bei uns Menschen zumindest nach momentanem Kenntnisstand nicht stattfindet. Und doch gibt es da die Erzählung, die Jungfrau Maria habe unbefleckt ein Kind empfangen und zur Welt gebracht: Jesus von Nazareth. Nach Ansicht vieler christlicher Gläubiger hat es sich genauso zugetragen, die römisch-katholische Kirche hat ein Dogma hierzu aufgestellt. Andere Menschen halten es für einen Mythos, der vermutlich auf einigen wahren Kernelementen beruht. Entsprechend wurde und wird nach Anhaltspunkten für die reale Person Jesus gesucht.
An sich gilt, dass die naheliegendste Begründung mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatsächliche Ursache eines Phänomens ist. Je mehr komplizierte Variablen beziehungsweise Bedingungen in etwas einfließen, desto unwahrscheinlicher wird es; siehe das Konzept → Ockhams Rasiermesser. Es wundert deshalb nicht, dass etliche Skeptiker davon ausgehen, die unbefleckte Empfängnis sei frei erfunden. Die Kondor-Forschungsergebnisse lassen nun eine alternative Erklärung in den Fokus rücken: Was wäre, wenn die in Bezug auf Menschen als extrem unwahrscheinlich geltende Parthenogenese doch stattgefunden hätte? Wäre dem so gewesen, hätte sie den Menschen vor rund 2 000 Jahren wie ein Wunder vorkommen müssen. Beweisen lässt sich das Ganze aber heute nicht mehr und es bleibt deshalb eine Theorie beziehungsweise Glaubensfrage.
So oder so: Das Team der NABU|naturgucker-Akademie wünscht frohe Weihnachten!
An sich gilt, dass die naheliegendste Begründung mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatsächliche Ursache eines Phänomens ist. Je mehr komplizierte Variablen beziehungsweise Bedingungen in etwas einfließen, desto unwahrscheinlicher wird es; siehe das Konzept → Ockhams Rasiermesser. Es wundert deshalb nicht, dass etliche Skeptiker davon ausgehen, die unbefleckte Empfängnis sei frei erfunden. Die Kondor-Forschungsergebnisse lassen nun eine alternative Erklärung in den Fokus rücken: Was wäre, wenn die in Bezug auf Menschen als extrem unwahrscheinlich geltende Parthenogenese doch stattgefunden hätte? Wäre dem so gewesen, hätte sie den Menschen vor rund 2 000 Jahren wie ein Wunder vorkommen müssen. Beweisen lässt sich das Ganze aber heute nicht mehr und es bleibt deshalb eine Theorie beziehungsweise Glaubensfrage.
So oder so: Das Team der NABU|naturgucker-Akademie wünscht frohe Weihnachten!
[2] OA Ryder et al. Facultative Parthenogenesis in California Condors. Journal of Heredity, Volume 112, Issue 7, October 2021, Pages 569–574, DOI: → 10.1093/jhered/esab052