NABU|naturgucker Akademie

Wissen

Hintergründe und Neues aus der Forschung leicht verständlich erklärt

Funktionen

Blinde Passagiere auf Pflanzen und in Warenlieferungen

Schulemann-Maier, Gaby [Gaby Schulemann-Maier] - 10. Dez 2021, 07:45
Praktisch jede Pflanzenart wird in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet von Insekten und Spinnentieren als Lebensraum und Nahrungsquelle genutzt. Durch den internationalen Handel werden immer wieder Tiere in ihren unterschiedlichen Lebensstadien in ferne Länder verschleppt. Sowohl für die betroffenen Lebewesen als auch für die am Zielort vorkommenden Arten kann das problematisch sein - oder eben nicht. Denn: Bei weitem nicht in jedem Fall werden durch das Einwirken der Menschen eingeschleppte Spezies für die lokale Flora und Fauna zur Gefahr. Oftmals ist es sogar so, dass die Verschleppung die betroffenen Tiere gewissermaßen ins Unglück stürzt.
Buchsbaum-Zünsler, (c) Marcus Döhring/NABU-naturgucker.de
Buchsbaum-Zünsler
(c) Marcus Döhring/NABU-naturgucker.de
Um zu überleben, benötigen Tiere einerseits Nahrung und andererseits die für sie passenden Umgebungsbedingungen (Witterungsverhältnisse und dergleichen). Wird ein Insekt oder eine Spinne mit einer Pflanze oder Warenlieferung aus südlichen Gefilden beziehungsweise tropischen Regionen im Winter nach Deutschland gebracht, könnten die hier herrschenden Temperaturen ein schnelles Aus bedeuten. Landen die wärmeliebenden Tiere in Gebäuden, können sie trotzdem überleben und sich vielleicht sogar fortpflanzen - sofern sie auf Artgenossen treffen.
Zimmerpflanzen als Lebensraum
Auf Zimmerpflanzen sitzende Insekten und Spinnen haben in diesbezüglich nicht unbedingt Glück. Werden die Gewächse schnell an Endverbraucher verkauft, gelangen die Tiere in verschiedene Haushalte. Dort haben die Tiere dann zwar genügend Wärme und in Form der Pflanze einen Mini-Lebensraum. Aber Geschlechtspartner für die Fortpflanzung finden sie eher nicht vor. Aus den eingeschleppten Tieren werden Einsiedler, die nach einem Leben ohne Fortpflanzung einsam sterben. Das kann sowohl im Haus sein oder draußen, wenn sie beim Lüften entkommen können und in der freien Natur ebenfalls nicht auf Artgenossen treffen. Oder dort den vorzeitigen Tod durch Erfrieren finden.

Falls es sich bei den eingeschleppten Tieren um befruchtete Weibchen handelt, die am Zielort Eier legen, kann die Lage anders sein. Dasselbe gilt für Gelege, die mit Pflanzen reisen, und natürlich ebenfalls für Insekten, die - wie etwa Blattläuse - zur Jungfernzeugung fähig sind. Passen die Umweltbedingungen am Zielort, schlüpfen aus den Eiern Nachkommen, die sich mit ihren Geschwistern wiederum fortpflanzen können.
Vermutlich aus Zentralamerika: Gewächshaus-Mottenschildlaus, (c) Ulrich Sach/NABU-naturgucker.de
Vermutlich aus Zentralamerika: Gewächshaus-Mottenschildlaus
(c) Ulrich Sach/NABU-naturgucker.de
Werden die Zimmerpflanzen nicht gleich alle verkauft, sondern landen sie zu mehreren in Garten- oder Baumärkten, stehen die Chancen für auf ihnen lebende verschleppte Tiere besser, Paarungspartner zu finden. Pflanzen, die in Gewächshäusern gepflegt werden, also etwa in botanischen Gärten, sind für wärmeliebende „blinde Passagiere“ ein guter Lebensraum, der Nahrung und oft Fortpflanzungsmöglichkeiten bietet. Als Beispiel sei hier der → Gewächshaus-Federfuß (Uloborus plumipes) genannt. Diese aus warmen Regionen der Alten Welt stammende Spinnenart reiste auf Pflanzen nach Mittel- und Nordeuropa. Heute leben diese kleinen Spinnen hierzulande vor allem in Gewächshäusern, wie es ihr Name bereits andeutet. Darüber hinaus gibt es in den Pflanzenabteilungen etlicher Baumärkte Vorkommen dieser Spinnenart.
Gewächshaus-Federfuß, (c) Uwe Scheel/NABU-naturgucker.de
Gewächshaus-Federfuß
(c) Uwe Scheel/NABU-naturgucker.de
Gartenpflanzen mit Anhaltern
Wer als Insekt oder Spinne auf Pflanzen lebt, die in Gärten, Parkanlagen und Co. ihren Platz finden, muss mit den Umweltbedingungen zurechtkommen, um sich etablieren zu können. Ein großer Teil der Pflanzen aus anderen Erdteilen stammt aus ähnlichen Klimazonen wie der unseren. Deshalb kommen die unfreiwillig eingereisten Insekten und Spinnentiere hierzulande mit Wetter und Jahreszeiten in vielen Fällen bestens klar.

Vor allem jene Arten, die auf beliebten Gartenpflanzen leben, können sich aus eigener Kraft gut ausbreiten und so aus ihrer Sicht ein erfolgreiches Dasein führen. Weil einige der eingeschleppten Spezies auf bestimmte Pflanzen spezialisiert sind, konzentrieren sie sich dort und treten zuweilen in Massen auf. Für uns gelten sie dann als Schädlinge unserer Zier- und Gartengewächse. Dabei stehen sie mit einheimischen Arten aber nicht zwingend in Konkurrenz, denn die sind auf unsere heimischen Gewächse spezialisiert und (noch?) nicht auf die fremdländischen Pflanzen.

Dass sich manche eingeschleppten Arten rasant vermehren können, liegt mit daran, dass sie bei uns keine natürlichen Fressfeinde haben beziehungsweise die hier heimischen Tiere sie erst als Beute kennenlernen müssen. Stellvertretend dafür sei der → Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) genannt. Wahrscheinlich mit Pflanzenlieferungen gelangten diese Kleinschmetterlinge von Ostasien nach Europa. Sie konnten hier problemlos Fuß fassen und in der Folge haben ihre Raupen in unzähligen Gärten → Gewöhnliche Buchsbäume (Buxus sempervirens) regelrecht zu Tode gefressen.
Raupe des Buchsbaum-Zünslers, (c) Sonja Klein/NABU-naturgucker.de
Raupe des Buchsbaum-Zünslers
(c) Sonja Klein/NABU-naturgucker.de
Anfangs haben unsere heimischen Vögel die Raupen nicht angerührt. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Mehrere Vogelarten, darunter → Kohlmeise (Parus major), → Star (Sturnus vulgaris), → Buchfink (Fringilla coelebs) und → Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros), machen nunmehr Jagd auf die Raupen des Buchsbaumzünslers.

Wegen der von ihm ausgehenden Schäden gilt der Buchsbaumzünsler als invasive Art. Laut Definition wird als invasive Spezies eingestuft, wer andere Lebewesen oder gar Ökosysteme schädigt. Betrachten wir noch einmal die weiter oben genannte Spinnenart, die in Gewächshäusern lebt, und vergleichen sie mit dem Buchsbaumzünsler. Es fällt auf, dass nicht alle eingeschleppten Arten invasiv sind. Und so unschön es sein mag, dass der Buchsbaumzünsler Pflanzen in Parkanlagen und Gärten tötet, so gibt es (mindestens) ein erheblich gravierenderes Beispiel für negative Auswirkungen eingeschleppter Insekten.
Kleiner Käfer, große Wirkung
Wie die → Kartoffelpflanzen (Solanum tuberosum) hat der → Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) seinen Ursprung in Südamerika. Von dort reisten diese Insekten mit ihren Nahrungspflanzen in Europa ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg fraßen zahllose Kartoffelkäfer in Deutschland die Kartoffelpflanzen tot, was die Menschen mancherorts an den Rand einer Hungersnot brachte.

Die in Irland zwischen 1816 und 1842 aufgetretenen Kartoffel-Missernten werden von manchen Menschen ebenfalls den Kartoffelkäfern zugeschrieben. In Bezug darauf sind diese Insekten aber nicht verantwortlich. Vielmehr hat seinerzeit Asche in der Atmosphäre zu kalten und verregneten Sommern geführt. Dorthin gelangt war sie infolge des Ausbruchs des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815.
Kartoffelkäfer, (c) Rolf Jantz/NABU-naturgucker.de
Kartoffelkäfer
(c) Rolf Jantz/NABU-naturgucker.de
Oft übersehene neue Tiere
Zu den eingeschleppten Insekten gehören ferner solche, die winzig klein sind und häufig übersehen werden. Prominentes oder besser gesagt unauffälliges Beispiel: die → Japanische Ulmenlaus (Tinocallis takachihoensis). Ihr Ursprung liegt in Ostasien und sie lebt auf Ulmen. Hierzulande wurden diese Blattläuse beispielsweise auf → Feld-Ulmen (Ulmus minor) gesehen. Wo sie inzwischen überall verbreitet sind, ist unklar, weil sie leicht zu übersehen sind - sitzen sie doch gern auf der Blattunterseite. Hinzu kommt, dass nur wenige Menschen und Naturbeobachtende gezielt auf Blattläuse achten.

Hinsichtlich solcher übersehener Winzlinge wissen wir nicht, welchen Einfluss sie auf unsere heimischen Arten haben. Würden sie den von ihnen besiedelten Pflanzen nachhaltig schaden, würde es wahrscheinlich auffallen, sofern es sich um einen starken Befall handeln würde. Eine Art, die weit verbreitet ist, sich aber kaum bemerkbar macht, dürfte als für die Gewächse vermutlich als harmlos einzustufen sein. Vorausgesetzt natürlich, dass die Blattläuse keine Krankheiten auf die Pflanzen übertragen, die erst später zum Tragen kommen.

Ob die Japanische Ulmenlaus von anderen Tieren gefressen wird, ist kaum erforscht. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sie von Vögeln, Schwebfliegenlarven und anderen Blattlausfressern erbeutet wird und somit die Nahrungskette bereichert.
Japanische Ulmenlaus, (c) Gaby Schulemann-Maier/NABU-naturgucker.de
Japanische Ulmenlaus
(c) Gaby Schulemann-Maier/NABU-naturgucker.de
Beobachtungen melden
Damit insgesamt mehr über zugereiste Arten bekannt wird, selbstverständlich genauso über jene aus anderen Artengruppen wie Säugetiere etc., wäre es wünschenswert, dass Beobachtungen dokumentiert werden. Möglich ist dies auf → NABU-naturgucker.de, dort können außerdem Fotos und Videos hochgeladen werden.

Eine Liste der in Deutschland etablierten Neozoen findet sich bei → Wikipedia.de. Allerdings ist sie nicht vollständig, denn sie nennt unter anderem die Japanische Ulmenlaus nicht. Diese Art dürfte längst etabliert sein, doch fehlen dazu wie bereits zuvor erwähnt fundierte Forschungsergebnisse sowie Beobachtungsdaten.
Aus Nordamerika eingeschleppt: Büffelzikade, (c) Istvan und Sabine Palfi/NABU-naturgucker.de
Aus Nordamerika eingeschleppt: Büffelzikade
(c) Istvan und Sabine Palfi/NABU-naturgucker.de

Funktionen

Bisher wurde noch kein Kommentar abgegeben.