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Hintergründe und Neues aus der Forschung leicht verständlich erklärt
Steinböcke suchen bei Hitze ihre Nahrung auch nachts
Siebert, Ina [Ina Siebert1] - 2. Feb 2024, 07:56
Ausgesprochene Tiere des Hochgebirges sind die → Alpensteinböcke (Capra ibex). Selbst im Winter ziehen sie nicht wie die → Gämsen (Rupicapra rupicapra) in die Täler, sondern bleiben in den felsigen Regionen oberhalb der Waldgrenze. Dann bevorzugen sie südexponierte Hänge, an denen sie unter der dünneren Schneedecke besser an Nahrung gelangen. Im Sommer dagegen suchen sie möglichst kühle Plätze auf, da sie nicht schwitzen können.

Alpensteinbock in Bayern
(c) Andreas Schäfferling/NABU-naturgucker.de
(c) Andreas Schäfferling/NABU-naturgucker.de
Mit den verhornten Kanten und weichen Ballen ihrer Hufe sind die Alpensteinböcke besonders trittfest und rutschen auch in schwierigem Gelände nicht ab. Zudem können sie die beiden Zehen unabhängig voneinander bewegen. Ihre Hinterbeine sind etwas länger als die Vorderbeine, was die Fortbewegung an steilen Hängen unterstützt. Stundenlang fressen die Wiederkäuer im Sommer Gräser und Kräuter. Angesichts der spärlichen Nahrung im Winter reduzieren sie ihre Aktivitäten auf ein Minimum.

Alpensteinböcke in Österreich
(c) Jonas Sielenkämper/NABU-naturgucker.de
(c) Jonas Sielenkämper/NABU-naturgucker.de
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts galten Steinböcke in den Alpen als ausgerottet. Lediglich etwa 100 Tiere überlebten im italienischen Gran Paradiso-Tal. 1856 hatte König Vittorio Emanuele II. die Region zu seinem Jagdreservat erklärt und damit die letzte Population gesichert. König Viktor Emanuel III. schenkte einen Teil dieses Gebiets im Jahr 1919 dem italienischen Staat. 1922 wurde → Gran Paradiso zum Nationalpark erklärt – es ist der älteste Nationalpark Italiens und der zweitälteste in den Alpen nach dem 1914 gegründeten → Schweizerischen Nationalpark.

Alpensteinbock in der Schweiz
(c) Ulrike Engelhardt/NABU-naturgucker.de
(c) Ulrike Engelhardt/NABU-naturgucker.de
Durch Jagdverbote und Wiederansiedlungen konnten die Steinböcke in den Alpen erhalten werden. Sie vermehrten sich erfolgreich, und Nachkommen zogen in den 1950er- und 1960er-Jahren in angrenzende Länder. In Bayern leben heute wieder etwa 800 Tiere. Europaweit wird ihre Zahl auf 52.000 geschätzt. Allerdings ist ihre geringe genetische Vielfalt ein Risiko für ihre Überlebens- und Fortpflanzungsraten: Alle Tiere stammen von jenen 100 aus dem Gran Paradiso ab.[1] Ohnehin sterben viele Steinböcke vor der Geschlechtsreife, und sie haben nur eine geringe Nachwuchsrate.

Alpensteinbock in Österreich
(c) Wolfgang Patczowsky/NABU-naturgucker.de
(c) Wolfgang Patczowsky/NABU-naturgucker.de
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpen – schmelzende Gletscher, veränderte Vegetationsgrenzen sowie zunehmende Temperatur- und Wetterextreme – schränken die Lebensräume der Steinböcke ein. Forschende haben im Gran Paradiso und im Schweizerischen Nationalpark die Hypothese untersucht, dass tagaktive und endotherme Tiere mit der globalen Erwärmung ihre Aktivitäten in die kühleren Nachtstunden verlagern. Hierzu erfassten sie die Bewegungsdaten von 47 besenderten Steinböcken in den Monaten Mai bis Oktober. Nach wärmeren Tagen und in helleren Nächten waren sowohl Böcke als auch Geißen nachts aktiver.

Alpensteinböcke suchen Schatten in Bayern
(c) Daniel Wojciechowski/NABU-naturgucker.de
(c) Daniel Wojciechowski/NABU-naturgucker.de
Das wurde in beiden Nationalparks festgestellt, obwohl im Gran Paradiso → Wölfe (Canis Lupus) leben, die auch Steinböcke jagen. Für die eigentlich tagaktiven Tiere kann die nächtliche Nahrungssuche zudem weniger effizient sein. Ihre bisherigen Anpassungen stimmen mit den Umweltbedingungen nicht mehr überein, was zu erhöhter Sterblichkeit und geringerer Fortpflanzung führen kann. Aus Sicht der Forschenden müssen derartige zeitliche Verhaltensänderungen in die Management- und Naturschutzplanung integriert werden, da Säugetiere sowohl durch die globale Erwärmung als auch verschiedene menschliche Einflüsse zu verstärkter nächtlicher Aktivität gedrängt werden.[2]
[2] Brivio Francesca, Apollonio Marco, Anderwald Pia, Filli Flurin, Bassano Bruno, Bertolucci Cristiano and Grignolio Stefano 2024Seeking temporal refugia to heat stress: increasing nocturnal activity despite predation risk. Proc. R. Soc. B.291:20231587. DOI: → 10.1098/rspb.2023.1587