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Einzigartige Artenvielfalt auf Madagaskar ist stark gefährdet
Siebert, Ina [Ina Siebert1] - 28. Apr 2023, 07:30
Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt und liegt 400 bis 800 Kilometer von der südostafrikanischen Küste entfernt im Indischen Ozean. Ursprünglich ein Teil von Gondwana, wurde Madagaskar vor rund 150 Millionen Jahren vom afrikanischen Kontinent abgespalten. Bedingt durch die lange geografische Isolation, die Größe der Insel sowie die klimatische und geomorphologische Vielfalt hat sich hier eine ganz eigene Pflanzen- und Tierwelt entwickelt. Die Insel ist ein Hotspot der Biodiversität.

Boophis septentrionalis
(c) Werner Bartsch/NABU-naturgucker.de
(c) Werner Bartsch/NABU-naturgucker.de
Mehr als 80 Prozent der Flora und Fauna Madagaskars sind endemisch. Bislang sind über 1.000 ausschließlich auf der Insel vorkommende → Orchideen (Orchidaceae) beschrieben, hinzu kommen mindestens 8.000 weitere Arten von Blütenpflanzen. Besonders bekannte Säugetiere sind die zu den → Primaten (Primates) zählenden Lemuren mit 109 Arten sowie die igelähnlichen → Tanreks (Tenrecidae). Einige Tausend → Schmetterlinge (Lepidoptera) sind auf der Insel erfasst, und auch weitere Insektenordnungen sind besonders artenreich.

Madagaskar-Riedfrosch
(c) Volker Siegel/NABU-naturgucker.de
(c) Volker Siegel/NABU-naturgucker.de
In vielen Pflanzen- und Tierordnungen werden weiterhin neue Arten entdeckt. Ein Beispiel sind die → Froschlurche (Anura), von denen bereits über 300 Spezies bekannt, teils aber noch nicht weiter beschrieben sind. Ein internationales Team aus Forschenden hat nach jahrzehntelanger Arbeit mittels DNA-Barcoding 20 neue Arten aus der Gattung → Mantidactylus entdeckt. Hierfür nahmen sie genetische Proben von 1.305 Individuen und vermaßen hunderte. DNA-Analysen von Fröschen aus historischen Sammlungen kamen hinzu. Auf mehr als 30 Jahren Feldarbeit beruht die 2022 veröffentlichte Studie.[1]

Schwarzkopfmaki
(c) Wolfgang Patczowsky/NABU-naturgucker.de
(c) Wolfgang Patczowsky/NABU-naturgucker.de
Während noch neue Arten entdeckt werden, sind viele stark gefährdet. Nach der ersten Besiedlung Madagaskars durch den Menschen vor mindestens 2.000 Jahren sind bereits viele Spezies ausgestorben. Holzeinschlag und Rodungen haben über Jahrhunderte hinweg die ursprüngliche Waldbedeckung auf wenige Flächen reduziert. Landwirtschaftliche Nutzung, invasive Arten, Klimawandel und Jagd bedrohen die Artenvielfalt. Von den für die Rote Liste der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) untersuchten Pflanzen- und Tierarten Madagaskars gelten derzeit 41 Prozent als gefährdet. Das entspricht etwa 3.500 Arten.

Diademsifaka
(c) Winfried Rusch/NABU-naturgucker.de
(c) Winfried Rusch/NABU-naturgucker.de
Forschende aus Madagaskar, Europa und den USA haben untersucht, in welchem evolutionären Kontext das mögliche Aussterben von landlebenden Säugetieren auf der Insel steht. Für 249 Arten, die in den vergangenen zwei Jahrtausenden auf der Insel gelebt haben, erstellten sie genetische Stammbäume. Außerdem schätzten sie die natürlichen Raten des Aussterbens, der Kolonisierung und der Artbildungen. Etwa 30 Spezies sind bereits ausgestorben. Es wären 3 Millionen Jahre an Evolution nötig, um die ursprüngliche biologische Vielfalt wieder zu erreichen. Gehen die aktuell bedrohten 128 Säugetierarten tatsächlich verloren, dauert es 23 Millionen Jahre, bis wieder eine vergleichbare Zahl an Spezies auftritt. Damit hat die womöglich bevorstehende Aussterbewelle der Säugetiere auf Madagaskar größere evolutionäre Auswirkungen als auf anderen untersuchten Inseln wie Neuseeland.[2]
[1] Scherz, M.D., Crottini, A., Hutter, C.R. et. al. (2022) An inordinate fondness for inconspicuous brown frogs: integration of phylogenomics, archival DNA analysis, morphology, and bioacoustics yields 24 new taxa in the subgenus Brygoomantis (genus Mantidactylus) from Madagascar. Megataxa. DOI: → 10.11646/megataxa.7.2.1
[2] Michielsen, N.M., Goodman, S.M., Soarimalala, V. et al. The macroevolutionary impact of recent and imminent mammal extinctions on Madagascar. Nat Commun 14, 14 (2023). DOI: → 10.1038/s41467-022-35215-3